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Montag, 30. Dezember 2013

Das autoimmunkranke Gesicht der Populärwissenschaft

Ja, die historische Republik Frankreich hat eine neue Diskussion um Robespierre eröffnet, in der alle ihre Meinung kundtun dürfen, vor allem, wenn sie persönliche Befindlichkeiten betrifft und nichts mit der Sache zu tun hat. Aktuell haben zwei französische Forensiker, Philippe Charlier und Philippe Froesch, gleich zwei Coups geliefert: erst haben sie anhand der Totenmaske Robespierres, die von Madame Tussaud angefertigt wurde und aktuell im Musée Granet in Aix-en-Provence aufbewahrt wird, ein "lebensgetreues" 3D-Modell angefertigt (hier), das Ergebnis selbst sei "beunruhigend". Wie zu erwarten, hat sie die Französische interessierte Öffentlichkeit in mehrere Lager gespalten: Robespierrist_innen, die eine Tradition thermidorianischer Entstellung feststellen, Antirobespierrist_innen, die die Hässlichkeit der Seele nun treffend dargestellt finden, und die Verteidiger_innen der beiden Forensiker. Spuren dieses Disputes finden sich auch in Deutschland, wie ein Blick in die Kommentarliste bei SPON zeigt. Ach ja, bei der Rekonstruktion "Robespierres" ist Charlier und Froesch auch die Idee einer neuen Diagnose gekommen: ihm wird nun die Ehre zuteil, der älteste bekannte Sarkoidose-Patient zu sein. 

Es sind zwei Aspekte, die mir an der Arbeit Charliers und Froeschs problematisch erscheinen, und deren Problematik die gleiche Ursache haben. Der erste betrifft die Rekonstruktion selber. Froesch hat sich, nach eigenen Angaben und unübersehbar, an der Totenmaske orientiert, die Marie Großholtz, bekannter als Madame Tussaud, von dem guillotinierten Robespierre abgenommen haben soll. Schwierig daran: diese Maske, die in verschiedenen (erneuerten) Versionen existiert, ist von zweifelhafter Echtheit (zur Diskussion: hier). Zum einen dürften die Thermidorianer, die die Leiche Robespierres und seiner Gefährten mit gelöschtem Kalk bedeckten, damit vom Tyrannen nichts überbleiben solle, kaum ein Interesse an seiner authentischen Totenmaske gehabt haben. Zum zweiten dürfte diese auch nicht leicht zu erstellen gewesen sein: bekanntlich hatte Robespierre eine schwere Schusswunde in der linken Wange. Die Kugel hatte seinen Kiefer zerschmettert und das Gesicht anschwellen lassen. Der Unterkiefer habe sich, wie Zeitgenossen versichern, kurz vor der Hinrichtung vom Oberkiefer gelöst, als Sanson den Verband abgenommen habe (nachzulesen hier, S. 8f.). Selbst wenn unter diesen widrigen Umständen eine Maske abgenommen worden wäre, hätte sie kaum ein getreues Abbild Robespierres vor dem 10. Thermidor abgeben können.
Der Realitätsgehalt der 3D-Rekonstruktion von Froeschs Robespierre ist also eher fraglich, und wir wissen letztlich nicht besser, wie Robespierre ausgesehen hat, als vorher schon.


Angebliche Totenmaske Robespierres
Nicht weniger problematisch ist die posthume Diagnose, die Froesch und sein Kollege Charlier vor 10 Tagen in The Lancet vorstellten. Der zufolge soll Robespierre an der seltenen Autoimmunkrankheit Sarcoidose gelitten haben. Mangels einer Diagnose am Patienten haben sich die Forensiker auf Zeugnisse von Zeitgenossen gestützt und folgende Symptome zusammengetragen:
  • Probleme der Sicht 
  • Nasenbluten
  • gelbliche Gesichtsfarbe
  • Asthenie
  • Geschwüre am Bein
  • Tics an Augen und Mund
  • Erkrankungen der Gesichtshaut, Pockennarben
  • Verschlimmerung der Symptome zwischen 1790 und 1794.
 Die meisten Symptombeschreibungen stammen weder von Robespierre selber (der lediglich, aber wiederholt, über wiederkehrende Erschöpfung klagte) noch von seinem Arzt Joseph Souberbielle. Ein Großteil der Zeugnisse stammt vielmehr aus der Zeit nach dem 10. Thermidor und haben zum Ziel, Robespierre als "Monster", als "Tyrannen" und "König" darzustellen. Dazu gehört auch Fréron, zwar Schulkamerad und hin und wieder Freund Robespierres, im Thermidor jedoch eifrig an dessen Hinrichtung beteiligt und später Anführer der reaktionären jeunesse dorée. Sein Bericht ist auch nicht zufällig Bestandteil des Reports von Edmé Courteois (dem Herzstück oben erwähnter Bemühungen). Fréron beschreibt Robespierres gelbliche Hautfarbe, eine Folge sowohl seines (unnatürlichen) Orangenkonsums und seines Übermaßes an Galle, zu Zeiten der Säftelehre bekanntlich ein Zeichen cholerischen Gemüts. Fréron ist auch Zeuge der Tics und Zuckungen Robespierres im Gesicht, die er ebenfalls als Zeichen seines niederträchtigen und tyrannischen Charakters interpretiert. Die böse Absicht mag auf tatsächlichen Beobachtungen beruhen, der offenkundig tendenziöse Bericht Frérons sollte dennoch nicht für bare Münze im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess genommen werden. 
Was hingegen das Nasenbluten angeht, so ist hierfür die einzige Quelle Charliers und Froeschs Pierre Villiers, der 1802 behauptete, 1790 mal als Sekretär Robespierres agiert zu haben. Diese Behauptung wird mittlerweile von niemandem mehr geglaubt, und Villiers Beschreibung von Robespierres Kopfkissen darf getrost als frei erfunden gelten. 
Bonaventure Proyart, der Robespierre als Schüler am Louis-le-Grand kennenlernte, während er selbst dort für die Verwaltung der Stipendien verantwortlich war, veröffentlichte 1795 unter einem Pseudonym die vielsagende Biographie "Vie et crimes de Robespierre, surnommé le tyran", deren oberstes Ziel darin bestand, nachzuweisen dass ein ansonsten sehr mittelmäßig begabter Robespierre sich schon von frühester Jugend an der Vernichtung von Religion, Königtum und Ordnung verschrieben hatte. Von ihm stammt die Beschreibung eines leicht (!) pockennarbigen Gesichtes. 
Die Verschlimmerung der Symptome zwischen 1790 und 1794 ist eine regelrecht niedliche Feststellung: vor 1790 fehlt jeglicher Hinweis auf den medizinischen Zustand Robespierres, sowohl von ihm selbst als auch von Dritten. Mag sich der Gesundheitszustand in diesen vier Jahren verschlechtert haben - übrigens weder unverständlich noch einzigartig bei dem psychosozialen Stress eines Revolutionärs dieser Zeit - wissen wir doch schlicht gar nichts über Robespierres Gesundheit vor der Revolution.
Alles in allem können wir folgende Angaben als gesichtert annehmen: Robespierre benötigte eine Brille (wie aus der zeitgenössischen Zeichnung Gerards hervorgeht), war eher blass und hatte, wie viele Zeitgenoss_innen, die Pocken überstanden (darauf gibt es Hinweise in Portraits), litt immer wieder unter Erschöpfung und Überarbeitung (in seinen Briefen und Äußerungen bei den Jakobinern referiert er immer auf seine Erschöpfung als Folge seines Arbeitspensums!), hatte vermutlich ein Geschwür am Bein, das jedoch nicht näher beschrieben wurde, und war im Laufe der Jahre 1790 bis 1794 immer öfter wegen nicht näher spezifizierter Krankheiten ans Haus gefesselt. Wäre dieser Mann ein Zeitgenosse von uns und keine umstrittene historische Persönlichkeit, man würde ihm eher eine vorsichtige Diagnose à la Überarbeitung oder evtl. Eisenmangel antragen, keinesfalls aber eine seltene Autoimmunkrankheit, das geben verlässliche (!) Quellen einfach nicht her. 
Dass historische Krankheitsdiagnosen mit Vorsicht zu genießen sind, wissen natürlich auch Charlier und Froesch, die darum nicht anstehen, ein paar andere mögliche Krankheiten vorzuschlagen: Lepra,...